Köln, März 1983 - Angefangen hat es bei einem Glas Wein. Ein Freund hat eine Zeitung mit dem Namen "Zweite Hand" aus Berlin mitgebracht. Sie enthält ausschließlich Textanzeigen und ist so sexy wie ein Telefonbuch: Nur Text, keine Bilder, sehr langweilig.
Doch die Zeitung hat besondere Reize: Jeder kann dort private Anzeigen kostenlos aufgeben. Finanziert wird das Ganze ausschließlich durch den Verkauf des Blattes im Zeitschriftenhandel. Und das Blatt wird gut gekauft, weil es so viele interessante Kleinanzeigen enthält. Gegenstände, die wegen ihres geringen Wertes sonst weggeworfen werden, kann man jetzt inserieren und anderen zum Weitergebrauch anbieten. Gut für die Umwelt. Ich fange an, neugierig zu werden.
Die Berliner rechnen mit 3-4 verkauften Zeitungen pro abgedruckter Anzeige. Wenn man weiß, wieviel Anzeigen man im Blatt hat, kann man abschätzen, wieviel Zeitungen man verkauft. Darauf kann man eine recht genaue Gewinn- und Verlustrechnung aufbauen.
Ich bin beeindruckt und setze mich mit zwei Freunden zusammen, die, genau wie ich, zur Zeit arbeitslos sind. Die finden die Idee gut und wir wollen es zusammen probieren. Aber da ist noch soviel, was wir nicht wissen. Also schliessen wir erst einmal Wissenslücken. Wir fahren nach Berlin und schauen uns bei der "Zweiten Hand" um. Wir fragen und gucken und schreiben auf, bis wir für's erste zufrieden sind. Wieder zurück in Köln legen wir los.
Und auch der Ärger fängt an. Der Kölner Stadt-Anzeiger wird jetzt endlich wach und befürchtet, daß ihm durch das Angebot kostenloser Kleinanzeigen Geld durch die Lappen geht. Bei uns in Köln heißt das gleichzeitig, daß Demokratie und Meinungsfreiheit in Gefahr sind, und die Geschütze werden in Stellung gebracht.
Es hagelt Abmahnungen und einstweilige Verfügungen. Die kleinsten tatsächlichen oder vermeintlichen Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht werden als Anlaß genommen, um uns mit Prozessen zu überziehen. Das Ziel ist klar: Wer beim Anwalt ist, sitzt nicht am Arbeitsplatz. Sehr effektiv bei einer Drei-Personen-Firma. Wer Rechtsanwälte bezahlt, steckt dieses Geld nicht in sein Unternehmen. Zeit und Nerven bleiben auf jeden Fall auf der Strecke. Wenn sich nicht der Rechtsanwalt Peters I unserer Sache angenommen hätte, wäre das Experiment vorbei gewesen.
Unsere erste Ausgabe wird trotz unterschriebener Verträge ohne Angabe von Gründen wieder auf unserem Firmen-Hinterhof abgekippt. Keine einzige Zeitung erscheint am Kiosk. Wir brauchen letztlich 12 lange Wochen, um uns gerichtlich den Zugang zum Presse-Großhandel zu erstreiten.
Aber kaum einer kennt uns, wir verkaufen so gut wie nichts. Viele Anzeigen haben wir aus demselben Grund auch nicht. Abends, nach der Arbeit an Telefon, Schreibmaschine oder Leuchttisch ziehen wir also mit Flugblättern um den Block und machen für uns Werbung. Am Wochenende wird nachts Taxi gefahren, um die Miete zu bezahlen. Im Sommer streunen wir über die Liegewiesen am Fühlinger See und drücken den Badegästen alte "Markplätze" als kostenlose Leseexemplare in die verölten Finger. Wir sind uns für nichts zu schade und haben viel Spaß dabei.
Es geht langsam, aber stetig voran. Die Anzeigen werden von Woche zu Woche mehr, die verkaufte Auflage steigt im selben Tempo. Nach 18 Monaten meldet unsere Buchhaltung das erste Mal "schwarze Zahlen". Unsere Einnahmen übersteigen endlich nachhaltig die Ausgaben. Wir haben’s geschafft, der Markt hat die neue Produktidee angenommen. Ich scheide 1990 aus dem Unternehmen aus. Heute findet man den Marktplatz nicht nur an allen Kiosken, sondern auch im Internet.
Ende der Geschichte - Im Internet entstehen immer neue Anzeigenmärkte wie Ebay. Das Anzeigenvolumen verlagert sich langsam, aber stetig von den Printmedien in's Netz. Kleinanzeigen-Zeitungen wie der Marktplatz leiden besonders unter dieser Entwicklung, Anzeigen- und Verkaufserlöse gehen zurück. Zuerst wird die Dienstags-Ausgabe eingestellt, die letzte Freitagsausgabe liegt am 27.01.2012 am Kiosk. (rb)
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